Krebs und seine Folgen…

Zu viele werden sich jetzt denken dass ich nach Aufmerksamkeit und Mitleid strebe weil ich ja ein ach so armer Junge bin. Falsch. So ein Post wird es definitiv nicht werden. Ich habe eine Erfahrung gemacht, über die ich schreiben will. Nein, über die ich schreiben muss. Ich konnte es bis jetzt noch nicht richtig verarbeiten und deshalb ist dieser Post eine Art Therapie für mich.

Dann beginnen wir mal am Anfang. Ausgangssituation: Wir schreiben das Jahr 2011. Meine Mutter und mein Vater sind seit Jahren geschieden. Mein Vater lebt zwei Dörfer weiter, ich besuchte ihn jedes zweite Wochenende, bis ich im August 2010 meine Ausbildung begann, in der ich jeden Samstag arbeite und deshalb fielen die Wochenendbesuche flach.

Mein Vater war nie der, der sich gross um seine Gesundheit gekümmert hat. Er hatte ständig Husten, rauchte ohne Ende und trank regelmässig nicht gerade wenig Bier. Aber er hatte immer einen Job, gute Freunde und solange er das hatte, ging er nie zum Arzt. Auch wenn seine Hustenanfälle immer schlimmer wurden.

Im Mai 2011 (weder ich, noch meine Schwester oder Mutter hatten Geburtstag) und es klingelte plötzlich an der Tür, da stand mein Vater mit einem braunen Umschlag in der Hand. Was wollte er bloss? Er sah blass aus, aber ansonsten stark und kräftig wie immer. Er fragte ob er rein kommen konnte, weil er etwas mit uns zu besprechen hatte. Also setzte er sich an den Tisch, ich stellte ihm einen Kaffee hin und setzte mich neben ihn. Meine Mutter und meine Schwester sassen am anderen Ende des Tisches. Schweigen. Es dauerte lange, bis er zu reden begann. Dann wurde sein Gesichtsausdruck anders. Er veränderte sich langsam vom stolzen und glücklichen Vater, hin zu einem ungewissen, verängstigten Mann. Dann begann er: „Ich komme gerade vom Arzt.“ -er deutete auf den braunen Umschlag- „Ich… Ich habe Lungenkrebs.“

 

Stille.

 

Ich wollte ihm nicht glauben. Also fragte ich nochmals nach, aber er zeigte nur auf den Umschlag. Ich öffnete ihn, darin lagen Röntgenbilder. Sein linker Lungenflügel leuchtete komplett Weiss und im rechten war das untere Drittel ebenfalls Weiss. Und es war kein „freundlicher Krebs“. Im Gegenteil.

Ich konnte es nicht fassen. Meine Schwester weinte los und meine Mutter versuchte sie zu trösten. Aber ich sass nur da, mein Vater nahm mich in den Arm und ich wusste nicht, was das jetzt bedeuten soll. Krebs hielt ich immer für eine schlimme Krankheit, aber die würde mich und meine Angehörigen schon nicht befallen, wir sind doch alles gute Menschen. Und so sass ich an dem Abend im Bett, starrte ins Leere und wusste nicht weiter. Meine Welt war gerade zusammengebrochen. Aber weinen konnte ich auch nicht. So vergingen einige Tage, bis sich die gesamte Verwandtschaft traff, um einander zu stärken. Als mein Vater sich dann verabschiedete, um nach Hause zu fahren, drückte ich ihn ganz fest. Ich wollte sicher gehen, dass ich mich richtig verabschiede falls… naja, falls etwas passiert. Später sagte mein Onkel noch einige Worte, die jeder dachte aber niemand aussprechen wollte. „Wenn der Krebs ihn nicht umbringen wird, dann wird es die Chemo-Therapie tun.“ Ich muss noch erwähnen, dass mein Vater bei einer Grösse von ca. 1.80m und geschätzten 70kg ein sehr schlanker Mann war.

Und so begann die Chemo-Therapie bereits Anfang Juni. Mein Vater sträubte sich dagegen wo anders hinzuziehen oder sich helfen zu lassen. Also lebte er weiterhin in seiner Wohnung, nur dass wir ihn wöchentlich abwechselnd besuchten. Er wurde immer dünner und schlaksiger. Dann, Ende Juli, ein Anruf von der Handynummer meines Vaters. Ich konnte das Telefon nicht abheben, also gab ich es meiner Mutter. Sie nahm das Telefon langsam zum Ohr, sah mich aber dann beruhigend an und bestätigte, dass mein Vater am anderen Ende war. Dann wurde ihr Gesichtsausdruck schlagartig leer. Sie stellte das Telefon wieder auf die Station. „Die Ärzte haben weitere Ableger des Krebs im Hirn gefunden.“. Ich stand schockiert da. Wieso in aller Welt hatten die denn nicht bereits vorher den gesamten Körper abgesucht? Wieso?! Danach kam die Mitteilung, dass die Chemo-Therapie natürlich auf einer falschen Grundlage zusammengestellt wurde und man die absetzen müsse. Man werde nur noch mit Bestrahlung behandeln.

Mitte August. Mein Vater bekam einen Anfall und wurde zur Beobachtung ins Krankenhaus eingeliefert. Danach ging es rapid bergab. Er konnte das Bett nicht mehr verlassen, weil er nur noch aus Haut und Knochen bestand. Sein Gewicht war unter 40kg gefallen und seine Haut fiel wie ein Tuch über seine Knochen. Mein Onkel wich seither nicht von seiner Seite. Er bekam von dem Spital ein Klappbett und schlief im Zimmer meines Vaters. Mein Vater verlernte immer mehr. Er begann nur noch zu keuchen und stammeln, sprechen fiel ihm schwer. Er antwortete kurz und knapp mit einem Nicken oder Kopfschütteln.

Samstag, 20. August. 5 Uhr Morgens. Das Telefon klingelt.

Meine Mutter, meine Schwester und ich standen vor dem Telefon und wir wussten was nun folgte. Meine Mutter nahm das Telefon ab, stellte es auf Lautsprecher. Mein Onkel sprach langsam und leise. „Er konnte einschlafen. Um 04:35 Uhr schlief er in meinen Armen ein.“.

Danach ging alles sehr schnell. Ich rief am Morgen meinen Chef an und erhielt das Wochenende frei. Wir fuhren am Morgen zum Spital, um uns zu verabschieden. Noch am selben Tag versammelten sich meine Verwandten bei uns zu Hause. Mein Onkel rief bereits den Bestatter an und besprach alles für die Beerdigung. Ich konnte nicht fassen wie schnell alles organisiert wurde.

Erst, als wir an der Beerdigung waren, konnte ich weinen. Und wie ich weinte. Aber auch danach hatte ich immer wieder das Gefühl, dass ich meinen Vater höre. Seine Stimme, sein Duft. Ich spürte seine Anwesenheit.

 

Wenn ihr das wirklich alles gelesen habt, habt ihr nun eine Vorstellung davon, was Krebs anstellt. Nicht nur mit der Person, die an Krebs leidet, sondern auch mit ihrer Familie und ihren Freunden. Krebs sollte nicht belächelt werden. Es kann jeden betreffen und es stellt das Leben vieler Menschen komplett auf den Kopf. Mein Vater starb sicherlich nicht nur, weil er viel rauchte. Aber es hat den Krebs definitiv schlimmer gemacht als er eigentlich war.

Seid vorsichtig mit eurer Gesundheit. Gebt auf euch acht.

 


Also, man liest sich.

Jupiter

 

Ein Kommentar

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  1. Christoph H. · Oktober 23, 2014

    Hallo Remo,
    Wie soll ich anfange… ich glaube mittlerweile hat schon fast jeder einen Bekannten oder Verwandten an Krebs verloren… es gehört zu den verbreitetsten Krankheiten Weltweit…. der Umgang mit Krebs ist sehr sehr schwierig, nicht nur für den Betroffenen sondern vor allem auch für die Familie und die Liebenden. Nicht jeder Krebs ist gleich, manche sind in frühen Stadien sehr gut heilbar, manche auch nach späteren erkennen, aber das weisst du bestimmt. Denn aus eigener Erfahrung weiss ich sobald es jemanden betrifft den man kennt setzt man sich viel intensiver mit dem Thema ausseinander, das habe ich auch getan…. Mein Grossvater erkrankte vor einigen Jahren an Krebs, er war ein äusserst kräftiger und hart Arbeitender Mann gewesen, sein leben lang hat er geschufftet war auch im alter noch Muskel bepackt doch haben ihn die Nebenwirkungen der Behandlung dann so geschwächt das er am Schluss nur noch ein Minimum seiner selbst war…. und Schlussendlich verstarb er an 2 Herzanfällen und einer Lungenembolie die durch die Behandlung aufgetreten sind…. ja der Kampf gegen Krebs ist hart und oft geht er verloren, doch der Kampf sollte viel früher beginnen, bei meinem Grossvater war es zu spät. Auch bei deinem Vater war es zu spät, leider. In der zeit als mein Grossvater erkrankte kümmerte sich meine Grossmutter mit aller Liebe und aller Kraft um ihn, leider merkte sie dabei nicht das sie selber krank war. Sie ging selbst nicht mehr zum Arzt und verdrängte ihre eigenen Schmerzen, dann starb mein Grossvater, 2 Wochen nach der Beerdigung merkte meine Grossmutter das irgendetwas nicht stimmte….auch sie ging zum Arzt Diagnose Leberkrebs verursacht durch einen Abgewanderten Brustkrebs, auch sie startete einen Kampf, doch auch sie verlor den kampf weil es zu spät war… sie verstarb 3 Monate nach meinem Grossvater. beide verstarben im Jahr 2010. 2 jahre später fühlte ich mich unwohl, ich hatte ein leichtes unangenehmes ziehen in der Leiste…. ich beriet mich mit Freunden und einem alten Schulkameraden der gerade eine Krebsbehandlung hinter sich gebracht hatte… Er meinte es sei bestimmt nicht und ich soll mir keine Gedanken machen, er würde nicht zum Arzt gehen wenn er ich wäre… doch mir ging die Geschichte meiner Grosseltern nicht aus dem Kopf… an diesem Wochende taste ich dann meinen Hoden ab und spürte ein Knöllchen was vorher nicht da war, ich konnte das ganze Wochenende nicht schlafen und ging am kommenden Montag zum Arzt… Ein Glück habe ich nicht auf meinem Freund gehört, ein Glück bin ich geradewegs zum Spezialisten und nicht zum Hausarzt ein Glück habe ich aus dem Pech meiner Grosseltern gelernt… meine Diagnose: Ich hatte einen sehr bösartigen Hodenkrebs…. nun ist das auch schon wieder 2 Jahre her, ich habe es sehr früh gemerkt, ich gehöre zu den wenigen glücklichen menschen, zu denen die gekämpft haben und gewonnen. Mein Glück war es jung und gesund zu sein, so dass die Chemo und die Strhlentherapie nur dem Krebs und nicht mir geschadet haben und ich hatte Glück weil ich eine heilbaren Krebs hatte, aber dennoch erzähle ich meine Geschichte immer wieder, damit auch andere davon profitieren können, es ist wichtig dass man offen mit Krankheiten umgeht und darüber spricht, dass anderen nicht das selbe Schicksal ereilt. Ich hoffe du konntest deinen Schmerz verarbeiten und ich hoffe dein Vater hat seinen Frieden gefunden. Mein herzlichstes Beileid und ich wünsche dir weiterhin so viel Kraft wie du es bisher gehabt hast. Liebe Grüsse Christoph